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Strafrecht, Privatrecht und Öffentliches Recht
Im ersten Jahr an der Uni werden dich hauptsächlich drei Fächer beschäftigen: Privatrecht, Strafrecht und Öffentliches Recht. Mit dem folgenden Beispiel möchten wir die Abgrenzung zwischen diesen drei Rechtsbereichen veranschaulichen.
Autofahrer Arnold überquert die Quaibrücke in Zürich mit
80 km/h statt der erlaubten50 km/h und erfasst dabei die Fahrradfahrerin Fenia, welche sich einen Beinbruch und eine Gehirnerschütterung zuzieht. Seit diesem Unfall leidet Fenia zudem an einem bleibenden Schleudertrauma, was ihr unter anderem auch erhebliche Konzentrationsschwierigkeiten verursacht.
Wie ist die Rechtslage?
Öffentliches Recht
Weniger evident dürfte in diesem Fall der Bezug zum Öffentlichen Recht sein: Arnold wird aufgrund der Geschwindigkeitsüberschreitung und des Unfalls seinen Führerausweis für mindestens drei Monate abgeben müssen (vgl.
Privatrecht
Fenia muss aufgrund des Unfalls ärztlich versorgt werden. Ausserdem erleidet sie während der Krankheitszeit einen Erwerbsausfall. Da Arnold der Verursacher dieser Schäden ist, kann Fenia von ihm Schadenersatz verlangen. Konkret hat Fenia gegenüber Arnold aus
Strafrecht
Arnold begeht eine (schwere) Körperverletzung, indem er Fenia einen Beinbruch und eine Gehirnerschütterung zufügt. Hier greift der Staat strafend ein. Konkret hat er sich nach
Privatrecht
Rechtsbeziehung zwischen Privaten
Öffentliches Recht i.w.S.*
Rechtsbeziehung zwischen Staat und Privaten
Strafrecht
Strafrecht stellt eigentlich Öffentliches Recht dar, da der Staat hier hoheitlich handelt. Aufgrund der grossen Bedeutung wird das Strafrecht heute als eigenes Rechtsgebiet behandelt.
Öffentliches Recht i.e.S.*
Beim Öffentlichen Recht i.e.S. handelt der Staat hoheitlich, ohne dabei zu bestrafen. Er zieht beispielsweise Steuern ein, erteilt Bewilligungen oder entzieht diese wieder (z.B. Führerausweisentzug).
Wie wird juristisch argumentiert?
Sehr bald wirst du im Jus-Studium vor der Aufgabe stehen, Fälle lösen zu müssen. Meistens macht sich dann grosse Ratlosigkeit breit, denn zusätzlich zu den inhaltlichen Fragen des Falls musst du deine Ausführungen in eine sinnvolle Form packen. Mit den nachfolgenden Ausführungen möchten wir dir die drei wichtigsten juristischen Stil- bzw. Schreibformen vorstellen: den Gutachtenstil, den Urteilsstil sowie den Behauptungsstil.
Gutachtenstil
Der Gutachtenstil wird – wie es der Name schon sagt – beim Verfassen von Gutachten angewendet. Das Ziel von Gutachten besteht darin, eine konkrete Fragestellung juristisch möglichst umfassend zu klären. Ein Beispiel:
«Nehmen wir einmal an, das Unternehmen Trendimport Ökodrive AG möchte mit Trendfahrzeugen das grosse Geschäft machen. Es möchte der Zeit voraus sein und in seinen Geschäften schweizweit erstmals aus den USA importierte Solowheels anbieten. Vor dem Einkauf von 50 000 Exemplaren möchte es sicherstellen, dass diese Fahrzeuge auf öffentlichem Grund in der Schweiz auch tatsächlich zugelassen sind. Aufgrund der grossen Bedeutung dieser Frage für Trendimport Ökodrive AG wird bei einem Juristen ein Gutachten in Auftrag gegeben.»
Jedes Gutachten besteht aus vier Teilen: Es beginnt mit der Fragestellung. Im nächsten Schritt wird die Fragestellung definiert. Weiter wird geprüft, ob der vorliegende Sachverhalt unter die erwähnten Definitionen fällt. Schliesslich werden die Erkenntnisse in einem Fazit zusammengefasst. IUSHELP nennt dieses Vorgehen TASK, entsprechend den Anfangsbuchstaben These, Auslegung, Subsumtion, Konklusion.
These
Grundlage jedes Gutachtens ist die Fragestellung. Hierzu werden Thesensätze (z.T. auch Obersätze) gebildet. In der These wird die Fragestellung (oder ein Teil davon) als juristische Vermutung formuliert. Wenn geprüft werden soll, ob in der Schweiz Solowheels auf öffentlichem Grund zugelassen sind, stellt sich aus juristischer Sicht beispielsweise die Frage, ob es dafür eine Typengenehmigung braucht. Die Formulierung der These ist für das Gutachten zentral, denn wenn eine für die Fragestellung nicht relevante These geprüft wird, ist das gesamte Gutachten wertlos. In Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Solowheels auf öffentlichem Grund in der Schweiz stellt sich die Frage, ob es für diese rollende Erfindung eine Bewilligung braucht. Der Jurist spricht in diesem Zusammenhang von einer allfälligen «Typengenehmigung gemäss
Auslegung
Im zweiten Schritt soll geprüft werden, welche Fahrzeuge über eine solche Typengenehmigung verfügen müssen. Hier gibt
Subsumtion
Bei der Subsumtion wird geprüft, ob die erwähnten Definitionen auf den vorliegenden Fall zutreffen. Hier wäre etwa festzuhalten, dass ein Solowheel über einen eigenen Antrieb, nämlich einen Elektromotor, verfügt und dass es auf dem Erdboden unabhängig von Schienen fortbewegt wird. Weitere Elemente wie etwa das Merkmal der serienmässigen Herstellung müssten ebenfalls subsumiert werden. Am Ende der Subsumtion steht fest, ob ein Sachverhalt auch tatsächlich unter die eingangs erwähnten Gesetzesbestimmungen subsumiert werden kann. Sätze in der Subsumtion beginnen typischerweise mit den Worten «Im vorliegenden Fall» (oder lat. «In casu», kurz «i.c.»).
Konklusion
Die Konklusion ist kurz und präzise, sie nimmt die These auf und hält das Resultat fest. Konkret könnte die Konklusion im vorliegenden Beispiel lauten: «Somit sind Solowheels auf öffentlichem Grund in der Schweiz nur zulässig, wenn sie über eine Typengenehmigung gemäss
Damit ist die Ausgangsfrage, ob Solowheels auf öffentlichem Grund in der Schweiz zulässig sind, noch nicht beantwortet.
Nun stellt sich nämlich die Frage, ob denn eine Typengenehmigung gemäss
Diese Frage ist in einem neuen Gutachten zu prüfen. So kann es sein, dass mehrere Gutachten (bzw. ein Gesamtgutachten mit Teilgutachten) nötig sind, bis der Auftraggeber eine klare Antwort auf seine Frage erhält.
Urteilsstil
Im Unterschied zum Gutachtenstil ist der Urteilsstil effizienter. Er macht keine Auslegeordnung, sondern nimmt das Resultat vorweg und schiebt in einem Nebensatz die Begründung nach, etwa: «Solowheels gelten als Motorfahrzeuge im Sinne von
Behauptungsstil
Im Behauptungsstil wird behauptet – und zwar ohne jegliche Begründung. Da dieser Stil nicht wissenschaftlich ist, kann er nur im Rahmen kursorischer (vereinfachter, schneller) Prüfungsverfahren zur Anwendung kommen. Und selbst dann darf er nur hinsichtlich völlig unproblematischer Fragen benutzt werden, etwa: «Solowheels werden in den USA serienmässig hergestellt.»
Gutachtenstil | Urteilsstil | Behauptungsstil | |
---|---|---|---|
Typische Satzanfänge | Möglicherweise … – Dazu … – I.c. … – Somit … | Es ist so, weil … | Es ist so. |
Anwendung | Epizentrum der Falllösung | Relativ unbestrittene Punkte | Offensichtliche Punkte |
Verwendung | Universitäre Arbeiten und wissenschaftliche Gutachten | Gerichtsurteile | Politik |
Methodenpluralismus
Ein effizientes Zeitmanagement bei einer Prüfung setzt den Methodenpluralismus voraus, das heisst: Bei problematischen Punkten sollte der Gutachtenstil und bei relativ klaren Punkten der Urteilsstil angewendet werden. Der Behauptungsstil sollte nur bei völlig unproblematischen Punkten zum Zug kommen.
Aus welchen Gattungen besteht die juristische Fachliteratur?
Die juristische Fachliteratur lässt sich grundsätzlich in vier Gattungen einteilen: Lehrbücher, Kommentare, Repetitorien und Übungsbücher.
Ausgangslage deines Lernens sollten stets die Lehrbücher sein. Diese sind thematisch aufgebaut, wie du das von den meisten Lehrbüchern aus deiner Gymnasialzeit kennst. Lehrbücher sind typischerweise nach Kapiteln gegliedert, wobei in jedem Kapitel ein neues Thema vorgestellt wird. Im Normalfall befolgen die Professoren in den Vorlesungen mehr oder weniger den Aufbau der empfohlenen Lehrbücher oder geben zumindest an, in welchem Kapitel das entsprechende Thema nachzulesen ist.
Kommentare erläutern (oder eben kommentieren) das Gesetz. Sie sind nicht nach Kapiteln gegliedert, sondern artikelweise aufgebaut. Zu den wichtigsten Bundesgesetzen sowie einigen kantonalen Gesetzen gibt es Kommentare. Wenn dir eine Gesetzesbestimmung nicht klar ist oder du mit der Auslegung einzelner Begriffe Mühe hast, findest du im Kommentar einfach und schnell eine Antwort. Repetitorien fassen die wichtigsten Erkenntnisse zu einem Fach zusammen und eignen sich dazu, vor der Prüfung das Gelernte noch einmal zu repetieren. Mit der Einführung des Bologna-Systems haben Repetitorien eine grössere Bedeutung erhalten, weil sie eine rasche Übersicht über den Prüfungsstoff geben. Unseres Erachtens können sie als Ergänzung zum Lehrbuch durchaus hilfreich sein, für sich alleine sind sie aber oftmals nicht ausreichend.
Übungsbücher erscheinen häufig in Ergänzung zu einem Lehrbuch. Im Übungsbuch löst der Autor einen juristischen Fall und zeigt dabei in einem zugehörigen Lösungsschlüssel meist schrittweise sein Vorgehen auf. Ein gutes Übungsbuch ist für die Prüfungsvorbereitung äusserst wertvoll, können anhand von Übungen doch gleichzeitig Prüfungsinhalte und Falllösetechniken erlernt werden. Der Nachteil von Übungsbüchern besteht darin, dass sie nie abschliessend sind. Dies sollte jedoch keinesfalls als Vorwand benutzt werden, erst gar nicht damit zu arbeiten. Übungsbücher vermitteln dir nämlich ein Gespür dafür, wie Fälle korrekt anzugehen und zu lösen sind.
Für die weiter gehende Literaturrecherche besonders wertvoll ist der Zugang zu swisslex.ch und legalis.ch, den jede Studentin und jeder Student zu Studienzwecken kostenfrei erhält.
Wie ist die Schweiz aufgebaut?
Eigentlich sollte der Staatsaufbau der Schweiz jedem Maturanden und jeder Maturandin bekannt sein. Im Rahmen unserer Tätigkeit haben wir aber festgestellt, dass dies keineswegs der Fall ist.
Die nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über den Aufbau des schweizerischen Bundesstaates. Wie jeder demokratische Staat der Gegenwart kennt auch die Schweiz eine Legislative, eine Exekutive und eine Judikative. Da die Schweiz (etwa im Gegensatz zu Frankreich) ein Bundesstaat ist, findet sich die Gewaltenteilung faktisch auf allen drei Staatsebenen: Bund, Kantone und Gemeinden. Man spricht daher einerseits von einer vertikalen und andererseits von einer horizontalen Gewaltenteilung.
Ein paar finanzielle Eckwerte zur vertikalen Dimension: Der Staat besteht aus Bund (inkl. den öffentlichen Sozialversicherungen), 2‘289 Gemeinden und 26 Kantonen, wobei sechs davon nur über eine halbe Standesstimme verfügen. Die Staatsausgaben beim Bund und den öffentlichen Sozialversicherungen lagen 2014 bei ungefähr 88 Milliarden Franken, jene der Kantone zusammen bei ungefähr 77 Milliarden Franken. Schliesslich verfügen auch die Gemeinden über Finanzautonomie: Sie geben zusätzlich zu den Ausgaben von Bund und Kantonen nochmals etwa 41 Milliarden Franken pro Jahr aus. Somit investiert die Schweizerische Eidgenossenschaft jährlich insgesamt rund 206 Milliarden Franken in soziale Wohlfahrt, Bildung und Forschung, Verkehr, öffentliche Sicherheit, Schuldzinsen und viele weitere Bereiche. Ein paar institutionelle Informationen zur Bundesstufe: Das Parlament (Bundesversammlung) besteht aus den zwei Kammern Nationalrat (200 Volksvertreter) und Ständerat (46 Kantonsvertreter). Im Gesetzgebungsprozess hat das Volk weitreichende Mitwirkungsmöglichkeiten (vgl. etwa
Der Bundesrat stellt eine Kollegialbehörde dar und zählt sieben Mitglieder. Das Bundesgericht (35 bis 45 ordentliche Bundesrichter sowie maximal 30 nebenamtliche Richter) hat in der Schweiz im internationalen Vergleich eine verhältnismässig schwache Stellung: Es muss Bundesgesetze selbst dann anwenden, wenn es sie als verfassungswidrig erachtet (vgl.
Gemeinwesen | Legislative | Exekutive | Judikative |
---|---|---|---|
Bund | Bundesversammlung und Volk | Bundesrat | Bundesgericht |
Kanton | Kantonsrat (ZH, LU), Grosser Rat (BE, BS) | Regierungsrat | Obergericht (BE, ZH), Kantonsgericht (LU), Appellationsgericht (BS) |
Gemeinde | Gemeindeversammlung (Andermatt), Gemeinderat (Zürich), Stadtrat (Bern), Grosser Stadtrat (Luzern) | Stadtrat (Zürich, Luzern), Gemeinderat (Bern) | (Amtsgericht, Bezirksgericht, Kreisgericht, Landgericht) |
Horizontale und vertikale Gewaltenteilung der Schweiz mit Beispielen. Beachte, dass bei der Judikative auf Gemeindeebene teilweise grosse Unterschiede bestehen.